Ein Mann läuft an einer roten Wand entlang und lächelt in die Kamera.

Viertelspaziergang Au: Benjamin Röder

„Für mich ist das einer der schönsten Flecken der Stadt“

Malerische Hinterhöfe, das großartige Isarufer, die Insel mitten im Fluss – die Au ist Münchens idyllischster Stadtteil, manche nennen sie „Das letzte Dorf Münchens“. Kaum jemand kennt sich dort so aus wie der Künstler, international gefragte DJ und Barbetreiber Benjamin Röder. Stadtteilspaziergang mit einem Bohemien und Lebenskünstler – so authentisch und cool wie sein Viertel.

Benjamin Röder hat noch den Schlaf einer kurzen Nacht in den Augen, als wir ihn vor seiner Bar Charlie in der Schyrenstraße treffen. Es ist kurz nach neun, für einen Barbetreiber und DJ also noch tiefe Nacht. Gegen die strahlende Morgensonne, die uns gleich durch die Au begleiten wird, hat er eine dicke Sonnenbrille aufgesetzt. Los geht’s erst mal zu Annas Fruchtmarkt in der Humboldtstraße, ein Mix aus Stehcafé, italienischem Qualitätsimbiss und Frischemarkt, atmosphärisch belebt von der guten Laune der Menschen, die hier arbeiten, und vor allem der Besitzerin Anna. Nach dem ersten doppelten Espresso ist Benny, wie sie ihn im Viertel nennen, in Form und führt uns an seine Lieblingsplätze.

Röder, 41, hat Bildhauerei studiert. Sein Vater ist Antiquitätenhändler, und so verbrachte Röder den Großteil seiner Kindheit auf Münchner Antikmärkten: am Kunstpark Ost, in Riem, in der Dachauer Straße. „Und weil sich in München rund um Kunst- und Antikmärkte herum traditionell auch Nightlife gebildet hat, beides also eng verwoben ist, wuchs ich in die Musikszene hinein.“

Mit 16 begann er in Münchner Clubs zu arbeiten, zunächst an der Kasse, irgendwann fing er an aufzulegen. Heute ist sein Name untrennbar mit dem Musik-, Party- und Nachtleben der Stadt verbunden. Gemeinsam mit einem Partner organisiert Röder regelmäßig große Open-Air-Partys an besonderen Locations in München, etwa im Olympiapark, auf der Plattform im See und zum 50. Jubiläum auf dem Olympiaturm. Als Host für diese Partys lädt Benjamin Röder DJs aus vielen Ländern ein, die dann dort auflegen. Was ihm wichtig ist: Der Eintritt zu seinen sogenannten Hytop-Partys ist frei.

Wenn Röder zum Beispiel aus New York zurück nach München kommt, das „gefährlich-schmutzige, chaotische Metropolen-Feeling noch im Gepäck“, fühle er sich hier wieder behütet.

Aber Röder ist mehr als eine Lokalgröße – er bezeichnet sich selbst als „fahrender DJ“. Bis nach New York und Kiew wird er eingeladen, um dort aufzulegen. Und aus Kiew erwartet er als Gast demnächst den in der Ukraine populären DJ Pavel Plastik, „der wird dann bei mir in der Bar Charlie auflegen“. Die befindet sich streng genommen nicht mehr in der Au, sondern schon an der Grenze zu Untergiesing. „Aber mein Viertel“, sagt Röder, „das ist die Au!“

Das Restaurant Obalski im Erdgeschoss hat Benjamin Röder verpachtet. Ab fünf Uhr füllt sich das Lokal, ab elf Uhr nachts wechseln die Gäste nach und nach in den Keller, in die Bar Charlie, wo die Abendveranstaltungen stattfinden. „Die Gestaltung eines Clubraums ist für mich wie eine Installation für eine Ausstellung“, sagt Benny. Und in der Tat, die Bar Charlie mutet an wie ein durchdachtes Kunstwerk: Wer die Treppe hinuntergeht und einen feuchten Raum nach dem bekannten Kanon der Underground-Clubs erwartet, wird überrascht – Türen und Wände sind in Marshmallowrosa gestrichen, an der Wand ein Werk des Künstlers Christian Leitner mit einem rotierenden Propeller.

Wir folgen Röder in den nächsten Raum – hier wummert nachts Musik aus den Neunzigern: House, Disco, Techno, Synthiepop, aber auch Free-Style und R&B – bunte, tanzbare Elektronik. „Diese Musikrichtungen“, bekennt er, „sind vielleicht nicht mehr das Allermodernste, aber sie sind die Basis von Clubkultur.“

Obwohl Röder als DJ in der ganzen Welt herumkommt, wollte er nie aus München weg. „Ich bin in München geboren und aufgewachsen und werde wohl auch hier sterben“, sagt er. Wir stehen jetzt am idyllischen Isarufer, über den Isarauen, von denen der Stadtteil seinen Namen hat. Im Sommer werden die Isarauen und die Insel zu einem großen Citystrand. Jung und Alt spielen dort Fußball, Frisbee, schwimmen, chillen. „Für mich ist das einer der schönsten Flecken der Stadt“, schwärmt Röder.

In die Au ist er über das Glockenbachviertel gekommen, auf der anderen Seite des Flusses, wo er sein Künstleratelier hat. „Ein ruhiges Viertel – deshalb ist die Au eigentlich ein Kontrast zu meinem Leben als fahrender DJ. Entschleunigt, gesund, fast schon bedächtig.“ Wenn Röder zum Beispiel aus New York zurück nach München kommt, das „gefährlich-schmutzige, chaotische Metropolen-Feeling noch im Gepäck“, fühle er sich hier wieder behütet. „Die Au ist kein Großstadtviertel. Eher hat sie den Charme eines Dorfs, etwas von einem Refugium. Hier geht es mir gut, und ich habe das Gefühl, ich bleibe körperlich und seelisch gesund.“

Als wir unsere Tour quer über den Mariahilfplatz, das Herz der Au und berühmt für seinen wuseligen Traditionsjahrmarkt Auer Dult fortsetzen, grüßen ihn immer wieder die Menschen auf der Straße – es scheint, dass hier alle Benny Röder kennen.

Und der kennt Florian Falterer, den sympathischen Betreiber des Café Crönlein, ein Stück den Nockherberg hinauf, also am südlichen Rand der Au. Dem gelernten Gärtner fiel vor ein paar Jahren unterhalb des Kroneparks mit seinem alten Baumbestand und dem großzügigen Spielplatz ein antikes öffentliches Pissoir aus der Zeit des Münchner Jugendstils auf, „längst nicht mehr benutzt, ein verwunschenes Juwel“. Das Pissoir gehörte zu einem kleinen Häuschen. Falterer bemühte sich bei der Stadt um die Pacht, entkernte das steinerne Gebäude gemeinsam mit Freund*innen in monatelanger Arbeit mit Hammer und Meißel und machte daraus das, was es heute ist: eine elegante kleine Cafébar.

Mit 16 begann er in Münchner Clubs zu arbeiten, zunächst an der Kasse, irgendwann fing er an aufzulegen. Heute ist sein Name untrennbar mit dem Musik-, Party- und Nachtleben der Stadt verbunden.

Über dem steinernen Häusl gelangt man über Treppen auf ein Plateau, aus dem Falterer eine Freischankfläche geschaffen hat. Dort und in dem aufwendig restaurierten Häusl kann man mit Blick über die Isar und die Hinterhöfe Untergiesings und der Au gut gemixte Drinks, hausgemachte Limo, Waffel am Steckerl und köstliche selbst gebackene Pizza genießen.

Röder kennt Falterer schon lange. „Mit ihm habe ich früher schon zusammen Musik gemacht“, erzählt er. „Und sein Crönlein ist für mich die schönste Art, neue Orte zu erschließen.“ Röder findet es gut, dass Falterer darauf achtet, woher die Produkte kommen, die er für seine Speisen verwendet. „Und – was mir natürlich persönlich sehr wichtig ist“, sagt Röder „er lässt dort regelmäßig Livebands auftreten.“

Entlang der Isarauen geht es weiter Richtung Deutsches Museum. Und ehe man sich versieht, haben wir Röders Au schon einmal durchquert. Letzter Halt an einem Ort, der charakteristisch für den Stadtteil Au ist – die Museum Lichtspiele in der Lilienstraße, das älteste Kino der Stadt. Am Betreiber Matthias Stolz bewundert Röder schon seit Jahren, wie er sich unermüdlich dafür engagiert, gute Filme zu zeigen. „In einer Zeit des allgemeinen Kinosterbens ist das eine Herausforderung.“ Neben aktuellen Filmen zeigt das Kino, ununterbrochen seit 1977, die „Rocky Horror Picture Show“. Röder sagt: „Für mich sind die Museum Lichtspiele das Tor des Viertels Au in die Glitzerwelt des Films.“

So wie seine Bar Charlie, auf der entgegengesetzten Seite der Au, an der Grenze zu Untergiesing gelegen, das Tor aus der beschaulichen Au in die laute, wummernde Welt der bunten, tanzbaren Elektronik.

 

 

Text: Hasan Cobanli; Fotos: Frank Stolle
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